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Man kann ruhig darüber sprechen

Einmal im Jahr werden die Töchter von einer biblischen Plage heimgesucht, die die Ägypter den Chronisten des Alten Testamentes mit Sicherheit schamvoll verschwiegen haben. Wir lernen jedoch von Jahr zu Jahr mehr Familien kennen, die so unbefangen wie wir damit umgehen können, offen darüber reden und sich nicht hinter einer Woche Magenverstimmung verstecken.
Selbst meiner Mutter gegenüber empfinde ich keine Scheu mehr, wenn es wieder einmal so weit ist, auch wenn sie dann jedes Mal betreten, sorgenvoll und händeringend gen Himmel blickt und seufzend sagt: "Kind, ihr hattet so was früher nicht. Aber ich habe euch auch jeden Tag in die Badewanne gesteckt und außerdem morgens und abends gründlich gekämmt. Und du musst mehr putzen." Ich weiß zwar immer noch nicht, was mein Fußboden damit zu tun hat, denn daher haben es die Töchter mit Sicherheit nicht, sondern sie bringen es von irgendwoher mit nach Hause - es lässt sich nicht genau lokalisieren, woher.
Gut, beim ersten Mal war ich erschüttert, als ich entdecken musste, dass dieser winzige schwarze Dreck auf dem Kopf meiner Ältesten Beine hatte und sich bewegte und dass diese weißen Partikel, die an den Haaren klebten, keineswegs Schuppen oder Sand waren.
Vorsichtig und verschämt wurde beim ersten Mal - telefonisch! - bei den engsten Freundinnen der Töchter nachgefragt, ob diese sich auffallend oft auf dem Kopf kratzten, und der Hinweis auf einen möglichen Läusebefall verursachte am anderen Ende betretenes Schweigen.
Die Kinder mussten fünf Tage in häuslicher Quarantäne bleiben, bekamen ärztlich verordnet eine Ladung Gift aufs Haupt geschmiert und wurden anschließend pausenlos mit einem Nissenkamm traktiert - ein Wunder bloß, dass die Nachbarn bei dem Gebrüll der Jüngsten nicht den Kinderschutzbund alarmiert haben.
Ärgerlich ist das Bettenabziehen - Läuse lassen sich regelmäßig erst dann sehen, wenn die Betten just frischbezogen sind - und dieses Wäschewaschen ohne Ende.
Inzwischen gehen wir von Jahr zu Jahr lockerer mit den Tierchen um, und wir Mütter tauschen beim Kaffeekränzchen Infos darüber aus, wie wir den Biestern am besten zu Leibe rücken können. Wir setzen die Kinder in enganliegenden Gummibademützen für eine Stunde unter die Trockenhaube, das schafft sie mitunter, und experimentieren mit mehr oder weniger giftigen Hausmitteln von Essig bis dioxinhaltigen Gels und diskutieren unsere Erfolge. Gut ist auch, alle Kuscheltiere und das Bettzeug für eine Stunde in die heiße Sauna zu stopfen, denn Hitze gibt den Läusen den Rest. Meine Freundinnen und ich sind inzwischen Expertinnen und erkennen jede Laus auf 10 Meter Entfernung, mag sie sich noch so gut getarnt haben. Und wir Mütter schämen uns nicht mehr, weil wir inzwischen wissen, dass Läuse auch vor Kindern nicht halt machen, deren Eltern Spezialisten für phrygische Felsdenkmäler sind oder über altindianische Liebeslyrik promoviert haben, Golf oder Harfe spielen und bei denen die Fenster so sehr geputzt sind, dass man die Scheiben nicht mehr erkennen kann.
Auch meine Mädchen fühlen sich durch Läusebefall nicht mehr geoutet und sehen mehr die positiven Seiten; vor den Sommerferien, als die Mittlere absolut keine Lust mehr auf Schule hatte, meinte sie grinsend: "Eigentlich könnten wir doch bald mal wieder Läuse kriegen. Das ist immer ganz toll. Wir können eine Woche zu Hause bleiben und sind überhaupt nicht krank. Und du kannst nicht arbeiten gehen, weil die Oma uns nicht rein lässt." Das ist schon fast salomonisch weise.


Das Buch - Anita Grimm: Wenn ich mal Kinder habe. Ein Versuch, Töchter zu verstehen
87 Seiten - DM 15,80 - € 8,08 - ISBN 3-8311-0033-0